#15 Acht-sam leben

Die Zahl Acht hatte in der frühen Christenheit eine zentrale Bedeutung. Der achte Tag ist der Tag der Auferstehung und der neuen Schöpfung. Eines der ältesten Kirchengebäude hatte einen achteckigen Grundriss. Im Rahmen der deutschen Sprache bekommt damit das Verb „achten“ einen völlig neuen Klang. Jemanden zu achten bedeutet, ihn oder sie mit den Augen Christi sehen. Achtsamkeit bedeutet dann, im Licht des kommenden Reiches Gottes zu leben. Was für eine Schönheit und Tiefe in der deutschen Sprache!

#14 Praktische Konsequenzen

Was folgt aus all den Überlegungen zum Scham-Annahme-Muster? Was bedeutet es für die Gestalt von Kirche und für den Weg, wie Menschen zum Glauben an Jesus finden? Klar ist: Alle Bereiche müssen beziehungsorientierter gedacht und gelebt werden. Die Betonung liegt auf kleinen, alltagsbezogenen Tischgemeinschaften. Und die Schritte des Integrationsweges kehren sich im Vergleich zum Schuld-Vergebung-Muster um: Erst suchen Menschen nach Zugehörigkeit, dann beginnt sich ihr Verhalten zu ändern und erst ganz zum Schluss sind sie bereit, sich öffentlich zu Jesus zu bekennen.

#13 Opfer und Gabe

Der Begriff „Opfer“ ist ähnlich mehrdeutig, wie „Gericht“. Immer wieder wird dadurch das Missverständnis genährt, dass ein zorniger Gott besänftigt werden müsste. Franz Rosenzweig und Martin Buber betonen in ihrer Verdeutschung des Alten Testaments: Die hebräische Bedeutung hat nichts mit der allgemein religiösen Opfervorstellung zu tun. Als Übersetzung verwenden sie deswegen die Wortschöpfung „Darnahung“. Damit soll zu Ausdruck gebracht werden, dass es um die Wiederherstellung einer zerbrochenen Beziehung geht.

#12 Aufrichtendes Gericht, Teil 2

Bei der Lehre vom Endgericht haben wir es nicht mit einer abstrakten Theorie über das Ende der Welt zu tun. Vielmehr strahlt die jeweilige Vorstellung – Waage oder Sonne – unmittelbar auf unser Bild von Gott und unser jetziges Glaubensleben aus. Wäre es nicht großartig, sich wieder auf die Wiederkunft Jesu und das jüngste Gericht freuen zu können? Passend dazu fragte der Theologe Jürgen Moltmann 2007 in einem Fachvortrag: „Was ist eigentlich christlich an unseren traditionellen Gerichtsvorstellungen? Wird es nicht höchste Zeit, die Vorstellungen vom jüngsten Gericht zu christianisieren…?“

#11 Aufrichtendes Gericht, Teil 1

Beim Jüngsten Gericht geht es um die Vernichtung des Bösen am Ende der Zeit. Üblicherweise wird dieses Endgericht als Strafgericht gelehrt. Wir finden solche Vorstellungen im altägyptischen Totengericht und im römischen Verständnis von Gerechtigkeit als Waage. Ganz anders ist der babylonische Einfluss. Dort wird Gerechtigkeit mit einer Sonne verglichen. Diese Art von Gericht ist ein Aufrichten und Zurecht-Bringen, damit die kosmische Ordnung wieder hergestellt wird. Welcher der beiden Linien wird in der Bibel der Vorrang gegeben?

#10 Herrlichkeit und Ehre

Es gibt Begriffe in der Bibel, die wirken nur auf den ersten Blick verständlich. „Herrlichkeit“ ist so ein Wort. Es hat den Klang von Majestät, Größe, Pracht und Erhabenheit. All das traf aber nicht auf das Auftreten von Jesus zu. Und doch wird über ihn berichtet, dass Menschen „seine Herrlichkeit“ sahen. Was bedeutet das? Hinter dem deutschen Begriff steht das hebräische Wort „kabod“. Es ist ein ganzes Begriffsfeld, welches eine aufbauende Wechselwirkung beschreibt. Indem einzelne sich positiv einander zuwenden, geben sie dem jeweils anderen „Gewicht“.

#09 Name und Gesicht

Beim Scham-Annahme-Muster sind zwei zentrale Begriffsfelder: (1) der Name und (2) das Gesicht. Der Ruf, den eine Person hat, wird durch das Beziehungsumfeld erzeugt. Ebenso ist „das Gesicht wahren“ ein kollektives Geschehen. In beiden Fällen ist jemand darauf angewiesen, wie seine Bezugsgruppe auf ihn reagiert: Ich bin das, wie über mich geredet wird oder wie ich erscheine. Aus Sicht der Bibel ist wichtig zu verstehen, dass Gott, besonders diejenigen, die von anderen verachtet werden, freundlich ansieht und bei ihm mit Namen genannt sind.

#08 Bruchlinien

Die verschiedenen Muster stehen nicht neutral nebeneinander, sondern können gegenseitig in Konflikt geraten. Besonders zeigt sich das beim Thema „Homosexualität“. Während das Schuld-Vergebung-Muster die zu vermeidenden Tatsünden betont, deutet das Angst-Schutz-Muster Homosexualität eher als Fremdeinwirkung, sexuelle Verwirrung oder Gebundenheit. Das Scham-Annahme-Muster – gerade auch in säkularer Gestalt – gerät mit diesen Auffassungen massiv in Konflikt.

#07 Aktualisierungen

Es scheint so, dass sich aufgrund der Digitalisierung untergründig eine neue Scham-Kultur herausbildet. Likes und Dislikes signalisieren, ob du cool bist und „dazu gehörst“. „Etwas zu posten“ bedeutet, online „am Leben zu sein“. Neben allen positiven Effekten, die soziale Medien haben, können Menschen darüber aber auch gezielt bloßgestellt und blamiert werden. Das „Schuld-Vergebung“-Muster ist ungeeignet, um Opfer in ihrer Beschämung mit dem Evangelium zu erreichen.

#06 Für uns gestorben

Was meint „Christus ist für uns gestorben“? Was verbirgt sich hinter dem Symbol des Kreuzes? Auf Grundlage des Neuen Testaments haben sich seit dem 3. Jahrhundert drei große Deutungen herausgebildet: Die Stellvertretung als (1) Loskauf aus der Macht Satans, (2) Genugtuung gegenüber Gott (Satisfaktionslehre) und (3) als Straf-Übernahme der menschlichen Todesschuld. Könnte es sein, dass die gesellschaftlichen Verschiebungen auch zu einer Neuformulierungen der Kreuzestheologie führen müssten?