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https://www.youtube.com/watch?v=avhQHv-Z3-c
Predigt:
Bibeltext:
Mt 27
3 Als Judas dann begriff, dass sein Verrat zur Verurteilung von Jesus geführt hatte, bedauerte er seine Tat und brachte den Hohen Priestern und Ältesten die dreißig Silberstücke zurück. 4 "Ich habe gesündigt", sagte er. "Ich habe einen Unschuldigen verraten." – "Was geht uns das an?", erwiderten sie, "das ist deine Sache." 5 Da nahm Judas das Geld und warf es in den Tempel. Dann ging er weg und erhängte sich.
zur Predigt:
Ausgangspunkt dieser Predigt ist die Aussage von Victor Hugo: „Wenn ich Jesus wäre, würde ich Judas retten.“ Dabei leiten uns die Fragen: Wie gehen wir mit der biblischen Gestalt des Judas um? Wie gehen wir mit uns um? Was würde es bedeuten, Judas gewaltfrei und emphatisch zu lesen, d.h. mit der Methode der gewaltfreien Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg?
Mindestens zwei gute Gründe gibt es für dieses Unterfangen: a) Wenn es Hoffnung für (jemanden wie) Judas gibt, dann gibt es Hoffnung für jede*n und b) wir lernen anhand eines konkreten Beispiels wie wir aus einer Jesus-Sicht lesen und leben können.
Im Laufe der Geschichte hat sich das Judas-Bild immer negativer entwickelt. Die Tendenz ist schon im Neuen Testament zu beobachten. So erwähnen ihn Paulus und die frühen Briefe des NT gar nicht. Markus als das älteste Evangelium hält sich mit den Negativurteilen noch sehr zurück, diese werden dann bei Matthäus, Lukas und schließlich Johannes immer deutlicher. Bei Markus wird Judas das Geld beispielsweise von den führenden religiösen Autoritäten für seine "Dienste" angeboten. Bei Matthäus dagegen verlangt Judas selbst einen Lohn für seinen geplanten Verrat. Dies lässt ihn natürlich in einem schlechteren Licht dastehen.
Markus 14,11 | Matthäus 26,15 |
Die freuten sich, als sie das hörten, und versprachen ihm Geld dafür. Nun suchte Judas eine gute Gelegenheit, um Jesus auszuliefern. | Er sagte: »Was wollt ihr mir bezahlen, wenn ich ihn euch ausliefere?« |
Im Laufe der Kirchengeschichte wird Judas immer mehr zum Synonym des Bösen schlechthin. Schon in der frühen Kirchengeschichte sahen führende Theologen zudem eine Verbindung zwischen dem angeblich geldgierigen und verräterischen Judas und dem Volk der Juden. Diese verhängnisvolle Verbindung zwischen Judas und den Juden wurde immer enger, so dass in einem Lehrbuch für Konfirmanden aus dem Jahr 1939 Folgendes zu lesen war: „Nicht ein neues Volk des Judas will Gott auf dieser Welt erstehen lassen, das seine Welt zerstört, weil es Gott verrät an das Geld.“ (H. Rönck, Ein Reich - Ein Gott. Vom Wesen deutschen Christentums. Weimar 1939. S. 246. zitiert aus Gottfried Orth „Friedensarbeit mit der Bibel: Eva, Kain & Co.“. Göttingen 2009 V&R.).
Das negative Judasbild ist sogar in die deutsche Sprache eingegangen. Martin Luther gebrauchte es als Schimpfwort für den Papst, die Kardinäle und die Täufer (!). Bestimmte Bezeichnungen für unangenehme Dinge enthalten das Wort "Judas". So ist die...
Judasfarbe = rot,
der Judasgruß = heuchlerisch,
das Judasgesicht = hässlich,
ein Winter, der erst mild, dann kalt ist = ein Judaswinter und
die Hölle = das Judasspittel.
Das deutsche Namensrecht behält sich bis heute das Recht vor, dass ein Standesamt den Namen "Judas" für ein Kind ablehnen kann. Denn der Name "Judas" könne wegen der negativ gezeichneten Figur des Judas Iskariot das Kind herabwürdigen und dem Kindeswohl zuwiderlaufen. Quelle: Judas - Wikipedia.
Auch in der Kunstgeschichte begegnet uns Judas als der verschlagene, geldgierige Verräter. D.h. er wird auf seine Rolle als Verräter und das Böse reduziert.
Warum ist das so? Wie kam es zu dieser Entwicklung die historische Person Judas als Negativfolie zu verwenden?
Ein Grund für diese Entwicklung könnte sein, dass es angenehm ist, über die negativen Taten anderer zu berichten, das Böse in ihnen hervorzukehren um selbst in einem angenehmeren Licht dazustehen. Aufwertung des eigenen Selbst durch Abwertung anderer.
Problematisch ist das deshalb, weil ein Mensch mit Gefühlen und Bedürfnissen auf seine eine Tat festgelegt und entmenschlicht wird. Mt 27,3-5 zeigt dagegen, wie er seinen Verrat bereute und es ihm leid tat, als ihm die Konsequenzen bewusst geworden waren. Judas hat aus bestimmten Bedürfnissen heraus gehandelt, vielleicht, weil er enttäuscht von Jesus war, der nicht zu den Waffen greifen wollte um bessere Verhältnisse zu schaffen. Doch es waren auch andere Menschen an einer Verleugnung von Jesus beteiligt, allen voran Petrus. Dieser wurde jedoch nie zu solch einer Negativfolie wie Judas. Nach dem NT betrifft in gewisser Weise irgendwie alle Menschen - uns alle - in Gemeinschaft mit Judas der Tod von Jesus. Wir sind daran nicht völlig unbeteiligt. Und es gibt etwas "Judashaftes" in uns, einen Schatten, etwas Unangenehmes, was wir nicht so schön und gut finden.
Die Gute Nachricht ist: Diese Schattenseite dürfen wir mit Empathie und einer Jesus-Sicht anschauen. Jesus hat uns Gott eindeutig als gütig vorgestellt und vorgelebt. Jesus wurde als "Freund der Sünder" bezeichnet. Er hat uns Gott als einen vergebungsfreudigen, befreundeten und nicht bedrohlichen Gott nahe gebracht. Wir dürfen unsere Negativanteile in uns integrieren und ganz werden. Der Theologie Helmut Gollwitzer bezeichnet sogar die Absicht des Neuen Testaments als eine "Gute Nachricht für Judas". Auch sagt er: „Nur unbegrenzte Vergebung ist wirkliche, ist göttliche Vergebung.“ Und in seinem wunderschönen kleinen Gedicht "abendland" schreibt Kurt Marti:
schöner judas
da schwerblütig nun
und maßlos
die sonne
ihren Untergang feiert
berührst du mein Herz
und ich denke dir nach
ach was war
dein EINER verrat
gegen die VIELEN
der christen der kirchen
die dich verfluchen?
ich denke dir nach
und deiner tödlichen Trauer
die uns beschämt
(Marti, abendland, in: Marti, abendland. Gedichte (1980), Hamburg / Zürich 1993, 18).
Fragen für die Zellgruppen:
- Wie gehst du mit Judas um? Wie gehst du mit dem Nicht-So-Guten in dir selbst um?
- Warum, denkst du, wurde die historische Gestalt des Judas im Laufe der (Kirchen-) Geschichte immer mehr negativ gewertet und schließlich zur Folie für das Böse schlechthin?
- Kannst du eine gewaltfreie Lesart der biblischen Gestalt des Judas nachvollziehen? Wie würde eine solche für dich aussehen?
- Wie kann dir die Jesus-Sicht helfen biblische Texte und dich selbst emphatisch anzuschauen?
zur Vertiefung:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gewaltfreie_Kommunikation
Gottfried Orth, "Friedensarbeit mit der Bibel: Eva, Kain & Co." Göttingen: V&R, 2009.