#01 Einführung

Was ist das Gute an der Guten Nachricht? oder: Wenn wir es beim Evangelium von Jesus wirklich mit einer Guten Nachricht zu tun hätten, müsste diese dann nicht mehr Resonanz auslösen? In diesem Podcast werden wir uns mit Jahrhunderte alten theologischen Mustern beschäftigen. Die übliche Grundstruktur „Schuld-Vergebung“ ist nicht die einzige Möglichkeit, die Geschichte von Jesus zu erzählen. Lass uns gemeinsam auf die Suche nach anderen Zugängen zur Kernbotschaft des christlichen Glaubens gehen.

4 Gedanken zu „#01 Einführung“

  1. Hallo Jens,

    so als Baptistenbrüder ist man glaub ich generell beim Du, also mach ich das auch so.

    Leider bin ich erst jetzt auf den Folgepodcast zu Radikale Reformation von Dir gestoßen.

    Den fand ich übrigens auch gut, wenn auch mir etwas zu anstrengend, weil zu verdichtet. Aber das ist nicht dein Fehler, sondern meine Unlust so schnell beim Hören mitzudenken 😉

    Aber nun, die 3 Gesichter des Evangeliums ist wirklich etwas, was in alle Gemeinden der Welt MUSS. Seit langem erlebe ich genau diesen Konflikt, dass wir den Scham/Annahme-Bereich einerseits am meisten „verkaufen“, dies aber inhaltlich versuchen mit den beiden anderen Mustern zu begründen. Und genau das klappt nicht, das versteht berechtigterweise keiner. Und die Wichtigkeit des 3. Musters ist so lange sträflich verkannt worden, oft bis heute. Dabei erleben wir bis hin zu Pegida diese Verschiebungen in der Gesellschaft.

    Und das haben Sozialwissenschaftler sogar schon vor 15 Jahren vorhergesagt, dass die „Emotion“ im Westen die „Ratio“ kassieren wird, weil wir hierzu im Westen einen Sonderstatus hatten.

    Nur sind wir leider unvorbereitet und werden jetzt kalt erwischt. Die Politik hat nichts den „Trumps“ richtig entgegenzusetzen und wir Christen sind auch wieder hinterher. Aber ich will jetzt nicht negativ werden, sondern dich ermutigen. Diese Spur des Podcasts ist elementar wichtig für Evangelisation und Seelsorge. Ich bin da sehr gespannt (da erst bei Folge 7), was noch kommt. Bislang aber schon mal: WOW und Danke!

    Liebe Grüße,
    Christian (Schneider-Ott)

    1. Hallo Christian,
      vielen Dank für deine anspornende Rückmeldung. Mir ging es dabei ja ähnlich wie dir. Das so genannte Scham-Annahme-Muster ist sehr erhellend. Wenn aber versucht wird, mit dem Schuld-Vergebung-Muster „Annahme“ zu vermitteln nach dem Motto „Gott liebt den Sünder, aber hasst die Sünde“ gerät man in unser aktuellen Kultur in Missverständnisse. Es schaukelt sich sogar noch hoch, denn das Schuld-Vergebung-Muster (so gut und richtig wie es ist) erhöht bei Zuhörern die Scham und löst damit genau das Gegenteil von dem aus, was man erreichen möchte. Es ist eine Missverständnisspirale. Von frommer Seite lautet dann die Erklärung „der Boden ist hart“.
      Beste Grüße von Jens
      Übrigens: Ich habe gerade einen neuen Podcast gestartet: http://www.fluide-kirche.de

  2. Hallo Jens,

    auch ich möchte mich für den Podcast ganz herzlich bedanken. Er hat mich – ebenso wie die „Radikale Reformation“ sehr bereichert und mir etliche neue Denk- und Glaubensimpulse geliefert. Das Herausarbeiten dieser drei Gesichter des Evangeliums ist eine große Leistung, die zu würdigen ist, und auch die sprachlichen Feinheiten und Wortspiele sind interessant und erfrischend. Dafür also ein großes Lob und Dankeschön!

    Ich will aber auch ein paar Dinge ansprechen, die mir im Podcast nicht ganz klar geworden sind oder die vielleicht auch zu kurz kamen. Ich beginne mal mit dem Zusammenspiel der drei Seiten des Evangeliums: Wenn man die ersten Episoden hört, entsteht der Eindruck, dass das Evangelium verschiedene Facetten bzw. Betonungen haben kann und dass diese in etwa gleichberechtigt nebeneinander stehen. Im Laufe der Serie ändert sich dieser Eindruck (zumindest bei mir) aber, und man bekommt das Gefühl, dass das Scham-Annahme-Muster den anderen beiden weit überlegen und daher zu präferieren sei. War diese Wirkung wirklich beabsichtigt? Ist das die Message? Blendet das Scham-Annahme-Muster also die beiden anderen Seiten aus?

    Eigentlich ging es doch anfangs darum, für die jeweilige Kultur, in der wir leben, das passende Evangeliengesicht zu finden. Dies hätte freilich zur Folge, dass die beiden anderen Gesichter nicht einfach ungültig werden. Sie existieren doch fort. Oder? Und an dieser Stelle muss man doch auch fragen, wie diese dann zueinander kompatibel sind und ob sie sich ergänzen oder eher ausschließen.

    Hier spielt dann auch der Gedanke mit hinein, dass das Evangelium unbedingt vertrauenswürdig sein muss. Sobald aber der Glaubensinteressierte merkt, dass es hier recht unterschiedliche Betonungen oder Sichtweisen gibt, die sich gegenseitig ausschließen, könnte er davon verunsichert oder auch abgestoßen werden. Denn: Was ist dann Wahrheit? Das finde ich an der Dreigesichtigkeit etwas problematisch.

    Vereinfacht gesagt: Wenn das Scham-Annahme-Muster gepredigt und vor allem gelebt wird, aber wenn dennoch nicht ganz zu leugnen ist, dass es tatsächlich auch Sünde (Schuld) und Vergebung gibt, denen wir uns zu stellen haben, dann wird man ja fragen müssen, wie diese Dinge letzten Endes zusammenpassen. Ich sage damit nicht, dass diese Kombination beider Aspekte nicht gelingen kann. Aber mir fehlen im Podcast dazu ein paar weiterführede Gedanken und vor allem praktische Tipps.

    Ich sage es mal noch einfacher: Wie bringe ich dem Nichtchristen, der sich von der positiven annehmenden Haltung der christlichen Gruppe/Gemeinde angezogen fühlt, bei, dass es aber doch auch die andere Seite gibt von Sünde, Verfehlung und Schuld und der notwendigen Schritte von Bekennen (mitunter auch Bereuen), Vergebung, Reinigung und Lebensänderung (Buße)? Wird ihn das nicht verwirren? Oder wird er vielleicht eines Tages den Eindruck bekommen, einer Mogelpackung aufgesessen zu sein? Erst erlebt er die Sonne der Liebe und Annahme Gottes und dann kommt irgendwann das andere Evangelium zum Vorschein, dass ihm den Spiegel für seine Taten und Herzenshaltungen vorhält? Und selbst wenn dieser Effekt nicht eintritt, weil man ausschließlich im Scham-Annahme-Modus lebt: Enthält man dem neuen Christen dann nicht eine ganz entscheidende Seite des Evangeliums vor? Sagen wir damit nicht: „Friede, Friede“, und ist doch kein Friede? (vgl. 92. These von Luther). Und mache ich mich damit nicht auch schuldig an ihm? Belasse ich ihn damit nicht auch vorsätzlich in seinem Zustand von Schuld? Bin ich dann nicht mitverantwortlich für die Last, die er (vielleicht unbewusst) weiterhin trägt? Zeige ich ihm damit klar genug den Weg zum ewigen Leben? Oder verschleiere ich das durch die zu starke Betonung der Annahme-Kultur? Behalte ich ihm also seine Sünden, weil ich äußerlich eine Harmonie- und Annahmeathmosphäre etablieren und aufrecht erhalten will?

    Bitte nicht falsch verstehen! Ich habe den Gedanken des Scham-Annahme-Musters schon verstanden und ich sehe ihn auch bei Jesus sehr stark. Die Frage geht eher hin zu einer Ausgewogenheit und einer Allseitigkeit.

    Ergo: Können und sollten nicht die drei Gesichter des Evangeliums von Anfang an gleichberechtigt vermittelt und gelebt werden? Geht das überhaupt? Gibt es überhaupt so etwas wie ein integratives Modell, dass alle drei Seiten in sich vereinigt?

    Dies ist zunächst mal eine der wichtigsten Fragen, die sich mir beim Hören aufgedrängt haben. Ich habe auch noch weitere Punkte. Aber ich belasse es erstmal dabei und bin sehr gespannt auf eine Antwort.

    Liebe Grüße!

    Hans

    1. Hallo Hans,
      Danke für deine positive und anspornende Reaktion zum Podcast.

      Vielen Dank auch, dass du deine Gedanken so ausführlich aufgeschrieben hast.
      Deine An- und Rückfragen sind völlig berechtigt.

      Ich versuche, meine Sicht mal folgendermaßen zu erläutern:

      1) Der Podcast ist schrittweise entstanden.
      Am Anfang wusste ich noch nicht genau, wo ich am Ende rauskommen würde.
      Daraus erklärt sich eine gewisse Unausgewogenheit. Die Entdeckung des Scham-Annahme-Musters – auch für unsere Kultur – erlebe ich als eine Befreiung. Deswegen vermutlich die Überbetonung. Möglicherweise muss ich demnächst noch eine weitere Folge anfügen, um auf Anfragen einzugehen.

      2) Die aktuelle Situation
      Normalerweise liegt mir immer an Balance und Ausgewogenheit. In diesem Fall aber wollte ich die Aussage nicht dadurch abschwächen, in dem ich alles gleich gleichgewichtig nebeneinander stelle.
      Für die christliche evangelikale Szene erlebe ich es folgendermaßen: Das Schuld-Vergebung-Muster gilt als das einzig wahre. Das Scham-Annahme-Muster wird als „Evangelium light“ verstanden und teilweise sogar abfällig als „liberal“ oder „zu weich“ abgewertet. Aus meiner Sicht wird also nach wie vor das Schuld-Vergebung-Muster überbewertet. Deswegen haben ich das Scham-Annahme-Muster so stark dagegen gesetzt.
      Auf einer Tagung sagte jemand vor kurzem pointiert: Gepredigt wird das Schuld-Vergebung-Muster, die Lobpreiszeit wird mit Liedern von Angst-Schutz gestaltet und die Kultur der Gemeinde versucht, Scham-Annahme zu leben. Das trifft es aus meiner Sicht ziemlich gut.

      3) Biographien
      Wenn man mit Leuten über ihre christlichen Biographien spricht, ist in unserem Kulturkreis folgendes Muster häufig anzutreffen: Aufgewachsen im Schuld-Vergebung-Muster, dann wegen der Enge ausgebrochen, Erneuerungserfahrung im Angst-Schutz-Muster, dann aber müde geworden, und jetzt Sehnsucht nach dem Scham-Annahme-Muster.
      Klar ist, dass wir es immer mit Verzerrungserfahrungen zu tun haben. Auch das Schuld-Vergebung-Muster sollte vor 500 Jahre befreien und hat es getan. Seltsam ist aber, dass das heutzutage so wenig erlebt wird.

      4) Die Frage nach der Wahrheit ist kompliziert
      Ich teile deine Bedenken, dass es Leute verwirrend könnte, wenn es nicht eine klarer erkennbarere Botschaft gibt. Allerdings sollte die Wahrheit auch nicht in falscher Weise enggeführt werden. Das aber geschieht, wenn das Schuld-Annahme-Muster absolut gesetzt wird. Mein Punkt: Das Schuld-Vergebung-Muster ist eine verkürzte Wahrheit.
      Deswegen bin ich davon überzeugt: Es braucht die Wertschätzung gegenüber dem charismatischen Muster, ohne dass es von Rechtgläubigen immer gleich als „zu emotional“ abqualifiziert wird. Und es braucht die Wertschätzung der Willkommenskultur, ohne dass das gleich als „falsche Liebe“ verdächtigt wird.

      5) Integratives Modell
      Ja, natürlich wünscht man sich ein integratives Modell. Theoretisch kann man das auch zusammendenken. Praktisch aber gibt es vielfältige Bruchlinien. Und leider ist es so, dass das verzerrt rechtgläubige Schuld-Vergebung-Muster viel Schaden anrichtet. Für viele Jahre gab es als Alternative nur das charismatische Muster. Das charismatishe Angst-Schutz-Muster macht mit seinem Triumphalismus normale Christen aber irgendwann müde. Das Scham-Annahme-Muster ist keineswegs besser. Aber es fühlt sich aktuell für viele wie eine Erlösung an und mir scheint es auch die Brücke zu einer postmodernen Kultur zu sein.

      6) Im Idealfall
      Unabhängig von allen aktuellen Befindlichkeiten würde ich idealtypisch folgendes Modell zeichnen: Die drei Gesichter sind drei unterschiedliche Zugangswege zu dem einen Evangelium. Sie stehen nicht gegeneinander, sondern ergänzen sich. Wer über das Scham-Annahme-Muster Zugang findet, wird sich selbstverständlich auch im weiteren Verlauf mit Schuld auseinandersetzen müssen. Aber die Frage der Schuld steht nicht an erster Stelle, sondern kommt erst nachträglich. Jemandem, der im Scham-Annahme-Muster tickt, in rechtgläubiger Weise mit der Schuldfrage zu kommen, wird diese Person eher verschließen als öffnen. Egal, wie korrekt über Schuld-Vergebung gepredigt wird.

      7) Theologische Ausgewogenheit?
      So weit ich weiß, sind sich alle einig, dass alle drei Muster zusammengehören. Allerdings: Aus missionstheologischer Sicht bekommen die Muster in einer jeweils konkreten Kultur eine Reihenfolge, die es zu beachten gibt, wenn man mit dem Evangelium verstanden werden will.
      Aus allgemeiner Sicht: Eine Scham-Annahme-Kultur ist keineswegs den anderen überlegen. Es gibt dort so viele dunkle Seiten: Sozialkontrolle, Gruppendruck, Seilschaften, Vetternwirtschaft, manipulierbares Gewissen, geringe Ich-Stärke… und ich könnte noch einiges mehr aufführen. Ich bin sehr dankbar für unsere individualistisch-mündige Kultur (im Idealfall). Und doch muss ich mir eingestehen, dass in unserer Kultur das Gute an der Guten Nachricht kaum noch im Schuld-Vergebung-Muster gehört wird. Das kann man beklagen oder sich drauf einstellen.

      Aktuell arbeite ich an einem neuen Podcast: Fluide Kirche. Vielleicht hast du auch daran Interesse:
      https://zellgemeinde-bremen.de/podcast/fluide-kirche/

      Beste Grüße

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